22. Februar: „Eisenbahn, Industrialisierung und Evangelische“

Foto: Dr. Lothar Kurz im Jakobi-Treff "Kirche und Welt"

Lothar Kurz zeichnete im Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ ein differenziertes Bild des preußischen Einflusses in Rheine

Preußen und Rheine - Spurensuche im Jakobi-Treff „Kirche und Welt

„Wie prägte die preußische Herrschaft die Stadt Rheine im 19. Jahrhundert?“  war das Thema im ersten Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ 2023. Organisator Karl Wilms konnte als Referent Lothar Kurz begrüßen, ehemaliger Lehrer am Emsland-Gymnasium, der seit über 40 Jahren auf vielfältige Weise zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte der Stadt Rheine beiträgt.

Vor dem Hintergrund des 150-jährigen Jubiläums der Jakobi-Kirche in diesem Jahr zeichnete Kurz ein differeziertes Bild des preußischen Einflusses in Rheine, das sich auch durch die jeweilige Zeitgeschichte gewandelt habe. Im Jahr 1929 habe Anton Führer die Einführung der preußischen Verwaltung als eine der schönsten Ruhmestaten Preußens gefeiert. Für den Alliierten Kontrollrat war dagegen rund 20 Jahre später der Staat Preußen eine Trägödie des Militarismus und der Reaktion, dessen Zentralregierung und alle nachgeordneten Verwaltungen im Februar 1947 per Gesetz aufgelöst wurden.

Nach einigen Zwischenstationen wurde Rheine endgültig 1815 beim Wiener Kongress dem preußischen Staat zugeschlagen. Dadurch habe Rheine von den bereits 1806 eingeführten preußischen Reformen der Freiherren vom Stein und von Hardenberg profitiert, so Kurz. Dazu gehörte die Bauernbefreiung, die Städteordnung , die Aufhebung des Zunft-Zwanges sowie die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht und eine Bildungsreform. Ebenso wurde – nicht zuletzt zum Zwecke der Steuererhebung – ein Bodenkataster eingeführt und die Bauern nach der Ertragsstärke ihrer Äcker besteuert.

Mitte des 19. Jahrhunderts setzt in Rheine die Industrialisierung – verbunden mit den Textilunternehmern Kümpers, Timmermann und Jackson –  ein und Rheine dehnte sich auf die rechte Emsseite aus. Hilfreich war dabei das preußische Dreiklassenwahlrecht auch auf kommunaler Ebene. Danach konnten in Rheine die sechs Textilfabrikanten sechs Personen (siehe oben), die ein Drittel der Steuereinnahmen auf sich vereinigten, auch ein Drittel der Sitze in der Stadtverordnetenversammlung bestimmen. Mit der preußischen Verwaltung seien auch die ersten evangelischen Beamte, Grenzaufseher und Zollbeamte, nach Rheine gekommen. Wer sich hier in die Bürgerschaft, den Kaufmannstand oder die Fabrikationsbetriebe eingliedern wollte, habe gut daran getan, katholisch zu sein. Die Gründung einer Evangelischen Gemeinde sowie deren Finanzierung wurde durch ein „Gnadengeschenk“ von 200 Talern und einen jährlichen Zuschuss von 350 Talern vom preussischen König Friedrich Wilhelm 1837 ermöglicht.

Ebenso gehe es auf preußischen Einfluss zurück, dass die vom Königreich Hannover von Osnabrück nach Lingen geplante Eisenbahnstrecke einen „Schlenker“ über Rheine machte und so Rheine zum Eisenbahnknotenpunkt wurde, der uns heute mit Amsterdam und Berlin verbindet. Unter preußische Obrigkeit falle in Rheine auch die Gründung des Gymnasiums Dionysianum und die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht bis zum sechsten Schuljahr, allerdings mit 70 bis 80 Schülern pro Klasse, natürlich getrennt nach Jungen und Mädchen.

Im Vergleich zu nichtpreußischen deutschen Regionen waren in Rheine Entwicklungen zu Demokratie und Freiheit eher schwach entwickelt, aber auch eine stärkere Akzentuierung des Militarismus habe Rheine nicht geprägt. Trotz Preußen sei Rheine nie eine Hochburg des Militarismus gewesen. In den drei Einigkeitskriegen 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und  1870/71 gegen Frankreich zählte Rheine 20 Gefallene. Dagegen waren es im ersten Weltkrieg 780 Soldaten aus Rheine, die für das Kaiserreich ihr Leben ließen.

Die abschließende Bewertung der differenzierten Betrachtung des preußischen Einflusses überließ Kurz den Zuhörern: Unbestreitbar seien die Beiträge zur Industrialisierung, durch eine effiziente Verwaltung und einen Ausbau der Infrastruktur, die Förderung der religiösen Vielfalt, aber auch eine Verkrustung durch das Dreiklassenwahlrecht und eine Überbewertung nationaler Positionen, die letzten Endes zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum ersten Weltkrieg geführt habe. Am Ende dankten die zahlreichen Zuhörer mit herzlichem Applaus und nahmen noch in kleineren Gruppen die Gelegenheit war, einzelne Aspekte zu vertiefen. Es zeigte sich mal wieder, wie hilfreich eine differnzierter Blick in die Vergangenheit ist, um die Gegenwart zu verstehen.